Die Multiplikation als Dualität in Mathematik, Physik und Erkenntnistheorie

Dr. Holger Stephan, Weierstraß-Institut für angewandte Analysis und Stochastik

Portrait Stephan

Reelle Zahlen kann man addieren und multiplizieren, wobei das Kommutativgesetz gilt. Beschreibt man mit Zahlen reale physikalische Größen, muss man die Einheiten berücksichtigen. So kann man Äpfel und Birnenn nicht addieren. Aber kann man sie multiplizieren? Das gibt auch nichts Sinnvolles, aber warum? Viele physikalische Größen mit verschiedenen Einheiten wie Geschwindigkeiten und Zeitintervalle oder Preise und Stückzahlen kann man multiplizieren. In der Physik unterscheidet man extensive und intensive Größen. Extensive Größen, wie Masse, Länge, Zeitintervall, Volumen, Ladung, Äpfel und Birnen addieren sich. Man kann sie durch Zählen messen. Intensive Größen wie Temperatur, Alkoholgehalt, Geschwindigkeit oder Kraft haben den Wunsch, sich auszugleichen, wenn man zwei Körper geeignet in Kontakt bringt. Diese Größen kann man nur vergleichen, aber nicht zählen. Die Dualität extensiver und intensiver physikalischer Größen ist die Grundlage dafür, wie wir die Welt betrachten und damit für unsere Naturgesetze. Sie zieht sich auch als roter Faden durch die Mathematik. Ihr entspricht zum Beispiel die Dualität von Funktionen und Maßen, was die Grundlage für das Lebesgue-Integral ist. Galileo Galilei benutzte das unterschiedliche Verhalten von extensiven und intensiven Größen, als er rein gedanklich - und nicht etwa experimentell am schiefen Turm von Pisa, wie häufig fälschlicherweise angenommen wird - das Fallgesetz (alle Körper fallen gleichschnell) herleitete.

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Stand: 15.03.2016 Logo des Tages der Mathematik 2016